Zwischenräume – oder doch mehr?

Seit Juni 2016 leite ich die Schreibwerkstatt „Jetzt reden wir“ mit Arbeitssuchenden, wer es klarer will, Arbeitslosen. Gemildert ausgedrückt „arbeitslosen Menschen“, aber für wen sollte ich das mildern wollen: Die Teilnehmer_innen, drei Männer, eine Frau, wissen um ihren Status. Sie schreiben wöchentlich Bewerbungen, selten bekommen sie überhaupt eine Antwort darauf.

von Christina Repolust | | Einblicke Lest mehr zum Thema:
Reportage, Arbeitssuche
2017 zwischenraeume

Diese Kooperation der Arbeiterkammer mit dem Referat für Bibliotheken und Leseförderung ist bei der Buchpräsentation des Lesebuchs „Soziale Ausgrenzung“ Ende 2015 entstanden. Ab Mitte Mai sind unsere gemeinsamen Pläne konkret und ist die Einladung verschickt worden. Seit Juni 2016 schreiben drei bis vier Personen pro Woche im Bildungszentrum Borromäum. Das kennen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht? Das ist in der Gaisbergstraße 7, dort ist im Bildungszentrum mein Büro und dort gibt es Seminarräume. Die Atmosphäre sollte anders als das bekannte AMS-Kurs-Design sein.

Die tun nix und das auch noch im Freien

Genau da erwischten mich meine eigenen Bilder im Kopf und das genau am Freitag, 28. Juni: Darf es sein, dass Arbeitsuchende am hellen frühen Nachmittag im Freien schreiben und nicht im kühlen Seminarraum? Wie wirkt denn das? Ich erkundigte mich bei den beiden Teilnehmern, die anderen waren verhindert: Klar, bestätigen wir doch alle Vorurteile. Wir tun nix und das, das wir nicht tun, machen wir auch noch im Freien. Chillen. Weil, seien wir ehrlich, das Schreiben ist doch keine echte Arbeit! Viel Gelächter vor dem Einstieg in das Thema „Die tun nichts“ – aber was war da in mir gewesen? Diese Unsicherheit, ob das wohl seriös ist, im Freien zu schreiben, auf einem Tisch mit richtigen Bänken dazu.

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Wir wollen wieder unten sein.

Seit 2011 unterrichte ich die migrantischen Straßenzeitungsverkäufer_innen von Apropos, 10.000 Auflagen starke Straßenzeitung von Salzburg, in Deutsch. Seit 2014 teilen sich Verena Ramsl und ich die Teilnehmer_innen, sie arbeitet mit den Männern, ich mit den Frauen und den Fortgeschrittenen. Ein neues Design und ein neuer Raum, so dachte Chefin Michaela Gründler und präsentierte den Teilnehmer_innen einen wunderschönen Kursraum, den von Akzente, in der Nähe des Apropos-Mutterschiffs, hoch oben, hell, geräumig, eine prima Raum zum Lernen. Nur zögerlich betraten die Teilnehmer_innen diesen Raum, an dem es wirklich nichts zu motzen gibt: Es war und wurde niemals ihr Raum. Sie vermissten den alten ovalen Tisch in der Apropos-Redaktion, das Gedränge, die Vertrautheit und die Nähe zur Redaktion. Sie wirkten ein Jahr lang verloren, manche gingen auf dem Weg zwischen Redaktion und Kurs dann auch manchmal einfach verloren, um schuldbewusst zu spät aufzutauchen.Jetzt sind wir wieder „unten“, das „Oben“ war zu fein, zu perfekt – irgendwas mit einem „zu“ davor.

Ein Kaffee macht noch keinen Kurserfolg?

Bildungsträger bieten Kurse an, dabei öffnen sie auch Räume: Manche nimmt man hin, manche erfreuen einen, manche kann man noch gestalten, manche sind wie sie sind und man ist in ihnen dann auch so wie man ist. Man beschreibt Tafeln und Flipchart-Papier, die Teilnehmer-innen machen manchen Grau-Wert dann bunt mit ihren Rucksäcken, ihrer Kleidung und ihrer wachen Neugier. Mancher Raum erinnert stark an eine Schule, grün die Tafel und irgendwie alles sehr korrekt. Mancher Raum hingegen ist mit einer gestalteten Mitte derart relaxed, dass man selber gleich zur Sinn suchenden Schwimmkerze wird. Man weiß, hier geht es einem gut und auch der Kaffee im Restaurant ist fair-trade, in einer Tasse serviert, gegen Bezahlung natürlich. Anderswo drückt man an einem Automaten herum oder umher, beim zweiten Mal verbrennt man sich die Finger nicht mehr, dann kann es nur mehr besser werden. Fair-Trade? Die Herkunft der Bohnen hat man nicht erfahren, der Kaffee ist heiß, gut und nicht zu teuer. Da lässt man heute eine Runde springen. Machen diese Kleinigkeiten Lernerfolge aus?

Wer will, der schafft es immer, ist das ein Motto?

Was genau ist die Bildungslandschaft und wie sind deren Räume? Warum genießen die Bibliothekar_innen in ihrer Aus- und Fortbildung das Ambiente des bifeb am Wolfgangsee? Liegt es auch an der üppigen Landschaft, der man in jeder Pause begegnet. Liegt es an der Ruhe der Anlage? Oder sind Menschen, die lesen, überall in einem Paradies, das sie sich einfach schnell mal herbeilesen können?

Lernräume, Zwischenräume, Erfahrungsräume, Begegnungsräume – auch Räume müssen geduldig sein und warten, wer sie heute und morgen auch noch einmal füllt. Dann werden aus leeren Räume gefüllte Räume, manchmal zu dicht, manchmal sehr licht gefüllt. Manchmal ist die Luft dick und manchmal geht es heiter zu, manchmal geschäftig, aufgeregt und emsig. Vertrautheit liegt in der Luft, man sitzt immer gleich, wehe, da stört jemand die eigene Raum-Ordnung.Der Raum ist neben Kolleg_innen und Trainer_innen die dritte bedeutende Komponente des Lernens. Das hätte ich vielleicht gleich zu Anfang schreiben sollen.

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von Christina Repolust
Christina Repolust

Über die Autorin

Christina Repolust

Liest gern und viel, fotografiert ebenfalls gern und derzeit zu wenig. Hätte sie nicht mit 17 die richtigen Menschen getroffen und wäre sie nicht widerständig, hätte sie nicht nach der Handels­schule noch drei Jahre die Handels­akademie besucht und schon gar nicht gewagt, Germantistik und Publizistik in Salzburg zu studieren. "Ich weiß, woher ich komme und das ich einen weiten Weg hinter mir habe. Deshalb setze ich auf Bildung, Bestärkung junger Menschen, Reich und Schön interessiert mich so ganz und gar nicht!"

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