Vom Bleiben, Gehen und Rebellieren

von Christina Repolust | | Buchtipps Lest mehr zum Thema:
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Luegen von gestern und heute

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Lügen von gestern und heute

von Ursula Fricker

Beba wäre vielleicht geblieben. Hätte nie überlegt zu gehen, schließlich spielt ihr Vater am Abend immer Klavier, dann geht er noch in den Stall, um die Tiere zu füttern. Ein Bauer in einem ungenannten Land, der Jazz spielt, während um ihn herum die Welt  zusammenbricht. Feuer, Zerstörung, Spitzeltum: Der Vater tot, die Mutter und die Großmutter schweigend, der Onkel hat ein Soldatengesicht bekommen. Beba zieht nach Deutschland, dort arbeitet sie als Hure. Den Begriff Sexarbeiterin lehnt sie ab, sie spart auf ein Klavier und schickt Mutter und Großmutter Geld, sie sollen daheim nicht hungern.

Isa hatte es immer gut, die Eltern wohlhabend und aufgeschlossen, das Kind soll nicht nur alles haben, sondern auch immer gefördert werden. Jetzt schmeißt das Kind, das Ausstellungskind, alles hin, sogar die Kreditkarten, Schluss mit Shoppen, Isa tritt wegen Ungerechtigkeiten gegenüber Flüchtlingen in den Hungerstreik. Sie hungert sich gefährlich an den Tod heran, kurz nur trifft sie Beba, die von einem Freier verdroschen wurde. Einer isst heimlich im Refugee-help-Zelt, einer, der doch im Hungerstreik ist. Die Eltern verstehen nichts, der Freund geht fremd, Isa beginnt Innensenator Otten zu hassen: Sie wird es allen zeigen. Alle werden dann wissen: Isa steht auf der richtigen Seite, ganz ohne Hilfe von Mama, Papa und deren Kreditkarten.

Innensenator Otten war mal ein Linksliberaler, jetzt ist er Berufspolitiker und seine Frau verbringt mehr Zeit mit ihrem Pferd als mit ihm: Er ist kein Zyniker, vielmehr aalglatt und immer öfter von seiner Familie angewidert. Beba trifft er in einem Lokal, wo sie am Abend Klavier spielt, er gibt ihr seine Visitenkarte, zu Weihnachten ist sie bei Ottens Familie eingeladen, nur die erwachsenen Kinder, Spießer, regen sich darüber auf. Sex? Nein, das ist kein Thema, nur Bebas Hingabe ans Klavier begeistert ihn.

Drei Personen aus unterschiedlichen Milieus halten einem einen schäbigen Spiegel vor, ein bisschen Innensenator, ein wenig Isa, man hofft, doch mehr Beba in sich zu entdecken: Beba wie Leidenschaft und Leidensfähigkeit. Die Lügen sitzen mit am Tisch, bei allen Protagonist_innen, nur der Tisch ist unterschiedlich. Beba denkt an ihren leidenschaftlich Klavier spielenden Vater, Isa weiß noch immer nicht genau, wer sie ist und Otten ist gar nicht überrascht, als er erschossen wird.   Wer Idyllen liebt, wird dieses Buch hassen. Für alle anderen ist es wie ein Peeling, es macht munter und schärft den Blick, der Zynismus ist nicht aufdringlich, wohl gesetzte Stiche ins Spießerlager und so manches Sinus-Milieu. Beba ist die Hauptperson, sie hat das größte Entwicklungspotenzial, ist unsentimental und lässt sich selbst von zartem Rehbraten nicht beeindrucken.

Verlag

München: dtv 2016

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Dieser Text ist unter CC BY 4.0 International lizenziert.

von Christina Repolust
Christina Repolust

Über die Autorin

Christina Repolust

Liest gern und viel, fotografiert ebenfalls gern und derzeit zu wenig. Hätte sie nicht mit 17 die richtigen Menschen getroffen und wäre sie nicht widerständig, hätte sie nicht nach der Handels­schule noch drei Jahre die Handels­akademie besucht und schon gar nicht gewagt, Germantistik und Publizistik in Salzburg zu studieren. "Ich weiß, woher ich komme und das ich einen weiten Weg hinter mir habe. Deshalb setze ich auf Bildung, Bestärkung junger Menschen, Reich und Schön interessiert mich so ganz und gar nicht!"

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